Predigt der Regionalbischöfin Gisela Bornowski zur Eröffnung von “ars moriendi”
Ausstellungseröffnung Ars moriendi, 28.10.18
Ansbach St. Gumbertus
Psalm 90, i.A. und 12-13
Liebe Gemeinde!
Es ist Herbst. Bunte Farben malen ein schönes Bild in die Bäume. Die Sonne lädt ein, das Laub beim Gehen aufzuwirbeln. Sanft fallen die Blätter und finden ihren Platz am Weg. Irgendwann werden sie vergehen, und Neues entsteht.
Romantisch wirkt dieses malerische Bild des bunten Herbstlaubes. Manche genießen diese Zeit, tauchen ein in die letzten wärmenden Sonnenstrahlen und in das bunte Bild der Wälder. Anderen werden die Gedanken jetzt schwer. Ihnen singt der Herbst vom Abschied, ihnen erzählen die fallenden Blätter Geschichten vom Sterben. Der Herbst erinnert daran, dass alles, was lebt, auch einmal gehen muss. Ein Gedicht von Rainer Maria Rilke beschreibt das so:
Die Blätter fallen, fallen wie von weit,
als welkten in den Himmeln ferne Gärten;
sie fallen mit verneinender Gebärde.
Und in den Nächten fällt die schwere Erde
aus allen Sternen in die Einsamkeit.
Wir alle fallen. Diese Hand da fällt.
Und sieh dir andre an: es ist in allen.
Und doch ist einer, welcher dieses Fallen
Unendlich sanft in seinen Händen hält.
Draußen fallen die Blätter. Die Zeit vergeht. Und mit ihr auch wir. Das kommt uns nahe in diesen Tagen. Wer lebt, muss auch einmal gehen. Der Tod ist ein Bruder des Lebens. Der Tod ist aber auch ein Lehrer für das Leben.
Ars moriendi: die Kunst zu leben und zu sterben, so ist die Ausstellung, die wir heute eröffnen, überschrieben. Sie soll zur Auseinandersetzung mit dem Thema Tod anregen, um das Nachdenken über das eigene Leben zu bereichern und zu beflügeln. Oder wie es unser heutiges Bibelwort aus dem 90. Psalm beschreibt:
“Herr, lehre uns bedenken, dass wir sterben müssen auf dass wir klug werden.“(Psalm 90,12)
Liebe Schwestern und Brüder,
Ist es wirklich eine Kunst, zu sterben? Kann man es lernen und einüben, so wie man sich andere Fertigkeiten aneignet? Sterben müssen wir alle, das ist todsicher. Gibt es dabei ein richtig oder ein falsch? Ein besser oder schlechter? Und wer beurteilt es? Die, die am Sterbebett sitzen und sie Sterbenden begleiten oder die Sterbenden selber, deren Antwort wir doch gar nicht kennen.
Es gibt ein friedliches und ruhiges Sterben, es gibt ein eher angstvolles und unruhiges, ein plötzliches und ein langes, vorhersehbares Sterben.
Die Kunst zu sterben hat mit dem Leben zu tun – das mag stimmen. Und wer sein Sterben bedenkt, lebt anders, das glaube ich auch. Wer Sterbende begleitet, bekommt eine andere Sicht auf das Leben. Ob wir unser Sterben beeinflussen können so wie unser Leben, das doch auch viele Unwägbarkeiten beinhaltet? Darüber nachzudenken und uns darüber auszutauschen, könnte eine Frucht der Ausstellungswochen sein.
Impulse dazu kann uns dieses Projekt allemal geben. Ich bin jedenfalls sehr beeindruckt und berührt von den Bildern, die uns dieses Thema näher bringen wollen.
“Herr, lehre uns bedenken, dass wir sterben müssen, auf dass wir klug werden.”
Der Psalmschreiber weiß genauso gut wie wir, dass Sterben und Leben zwei Seiten einer Medaille sind. Zwei Seiten einer Medaille, von denen wir Menschen leider eben zu oft nur die eine Seite polieren, die Seite, die uns vorgaukelt: Sterben, das tun immer nur die anderen.
Wie können wir mit dem Wissen um das Sterben umgehen und vor allem die richtigen Konsequenzen für das Leben ziehen – wie können wir klug werden, wie es die Bibel meint?
Ich erinnere mich an verschiedene Gespräche mit sehr kranken Menschen und ihren Angehörigen, die mit dem Sterben ganz bewusst umgegangen sind. Sie sagten: Wir leben seither viel intensiver, wir lernen Wichtiges von Unwichtigem zu unterscheiden. Wir sagen „Nein“ – wenn es dran ist, und tun nur noch Dinge, die wir wirklich auch wollen. Wir lassen uns nicht mehr von anderen leben. Wir lassen uns nicht mehr so schnell aufregen durch Nichtigkeiten. Und wir merken sehr schnell, wo mehr Schein ist als Sein.
Der Tod kann ein Lehrer für das Leben sein. So kann man das ja auch bezeichnen, was der Psalmschreiber mit: “Klugwerden” umschreibt.
Was lehrt er uns?
1. Verschiebe möglichst wenig unnötig auf morgen.
Wenn du irgendetwas mit einem anderen zu besprechen hast, wenn es etwas gibt, was du eigentlich schon immer mal angehen wolltest, es aber noch nie so richtig angegangen bist – versuche es so schnell wie möglich zu tun. Denn der Tod, dieser Lehrer des Lebens, fragt nicht, ob du noch etwas vorhast, wenn er kommt. Er lässt auch nicht mit sich handeln. Er kommt und fordert.
Deshalb: Verschiebe möglichst wenig auf morgen. Nicht das Gespräch, nicht den Brief, nicht den Besuch, nicht die Versöhnung – und auch nicht das Leben selbst – mit seinen Freuden und seinem Glück. Du darfst leben – auch wenn du einen Menschen verloren hast, der zu deinem Leben gehörte. Du darfst auch wieder leben!
Ich könnte mir vorstellen, dass das der Psalmbeter als klug bezeichnen würde.
2. Sage und zeige den Menschen, die dir wichtig sind, dass du sie liebst
Keiner von uns weiß, wann seine Stunde kommt. Keiner von uns weiß, wann die Stunde des Menschen kommt, der für ihn der wichtigste im Leben ist. Der Tod, dieser Lehrer des Lebens, er fragt in der Stunde des Abschieds nicht, ob du deinem geliebten Menschen noch etwas Wichtiges sagen wolltest. Er holt dich, oder ihn, oder sie, ohne Zögern. Und es kann nichts mehr gesagt werden. Deshalb: sei auf der Hut, um dem Menschen, den du liebst, das auch zu sagen und zu zeigen.
Ich könnte mir vorstellen, dass das der Psalmbeter als klug bezeichnen würde.
3. Lerne auch für scheinbare Kleinigkeiten Dankbarkeit zu empfinden
Wenn du immer nur den sogenannten großen Dingen im Leben – was auch immer das ist – nachhechelst, dann verlierst du den Blick für das, was deinen Alltag wertvoll macht. Der Supertraum deines Lebens erfüllt sich nur in den seltensten Fällen. Dagegen: Jeder ganz normale Tag bringt sicher etwas mit sich, woran du dich erfreuen kannst. Und wenn es auch nur der kurze Sonnenstrahl aus einem ansonsten grauen Novemberhimmel ist. Der Tod, dieser Lehrer des Lebens lehrt, dass jeder Tag ein unwiederbringliches Geschenk ist.
Deshalb lerne die Bewusstheit des Augenblicks dankbar zu leben. Es gibt so viel, was unser aller Leben reicht macht: der unerwartete Besuch von einem lieben Menschen, das nette Gespräch am Gartenzaun, die Blume auf dem Fenstersims, die auf einmal wieder Blüten treibt, die geschenkte Zeit, weil ein Termin abgesagt wurde.
Ich könnte mir vorstellen, dass das der Psalmbeter als klug bezeichnen würde.
Und ein 4.: Übe dich im Abschiednehmen und Loslassen
„Jeder Abschied ist ein kleiner Tod, hat einmal jemand gesagt. Jeder Abschied ist eine Chance, sich sozusagen im Sterben zu üben, ohne dass es gleich um Leben und Tod geht. Abschiede gibt es viele: der Freund, der in eine andere Stadt zieht, das erwachsene Kind, das das heimische Nest verlässt. Das liebgewordene Auto, das nicht mehr durch den TÜV kommt. Das Amt, die Aufgabe, die ich jetzt in jüngere Hände lege. Der Urlaub, der viel zu schnell vorüber gegangen ist. Abschiede kann man gestalten oder einfach übergehen. Man kann sie nutzen, um noch einmal zu bedenken und auszudrücken, was wichtig war, was schön und was schwer war, um dann auch ganz loslassen zu können. Im bewussten Abschiednehmen und Loslassen kann ich das Sterben schon mitten im Leben einüben. Das Sterben ist ein großes und letztes Loslassen.
Ich könnte mir vorstellen, dass das der Psalmbeter als klug bezeichnen würde.
In einer neueren Übersetzung wird der Bibelvers aus dem 90. Psalm so formuliert und weitergeführt:
“Mach uns bewusst, wie kurz unser Leben ist, damit wir endlich zur Besinnung kommen. Herr, wende dich uns wieder zu. Hab Erbarmen mit uns, wir gehören doch zu dir.”
Wir gehören doch zu dir, Gott! Es ist im Leben wichtig zu wissen, wo ich hingehöre, wo meine Heimat ist. Das schenkt mir Halt, lässt mich verwurzelt sein, damit ich wachsen und mich entfalten kann. „Herr, Du bist unsere Zuflucht für und für.“ Der Psalmbeter ist sich ganz sicher, dass Menschen in der Freude, wie auch im Leid immer zu Gott gehören. Dass Menschen im Abschied und Neubeginn immer zu Gott gehören. Dass Lebende und Tote immer zu Gott gehören.
Und sich das bewusst zu machen: Dass wir zu Gott gehören – jeden Tag – auch wenn wir, du und ich, vor Särgen stehen, auch wenn einmal deine und meine Stunde kommt: das kann das Leben veredeln, kann dem Sterben und dem Tod einiges vom Schrecken nehmen. Einiges. Nicht alles. Gewiss nicht alles.
Zur Kunst zu leben und zu sterben, gehört für mich, zu wissen, wo ich hingehöre, wo meine Heimat ist – sowohl hier wie auch dort. Zu wissen, wohin die Reise geht und dass wir einmal ankommen bei Gott. In seinem Reich, wo es keine Tränen, keinen Schmerz, kein Leid und keinen Tod mehr geben wird. In seinem Haus sind viele Wohnungen für jeden und jede von uns.
Der Tod ist das Tor zum Leben – so habe ich kürzlich in großen Lettern an einem Friedhofstor gelesen.
Im Loslassen lernen wir die Klugheit, von der der Psalmbeter spricht.
Die Klugheit, die uns hilft, zu leben und zu sterben.
Rainer Maria Rilke drückt es so aus:
Wir alle fallen. Diese Hand da fällt.
Und sieh dir andre an: es ist in allen.
Und doch ist einer, welcher dieses Fallen
Unendlich sanft in seinen Händen hält.
Und der Friede Gottes, ….
Regionalbischöfin
Gisela Bornowski
Oberkirchenrätin im KK Ansbach-Würzburg