Seelsorge am Krankenbett
Ein Angebot
„Guten Morgen! Ich bin Pfarrer fürs Krankenhaus. Wenn Sie möchten, würde ich Sie besuchen!“ So stelle ich mich vor. Wenn der Patient oder die Patientin zustimmt, was die allermeisten tun, begrüße ich mit Handgeben. Ich nehme mir einen Stuhl und setze mich zum Bett. Dann frage ich „Wie geht es Ihnen?“ Unser Dienst als Klinikseelsorger ist meistens aufsuchend, d.h. wir wählen eine Station aus und bieten von uns aus den Besuch an. Wir können damit aber nur einen Teil der Patienten erreichen. Besteht ein ausdrücklicher Besuchswunsch, muss er uns deshalb bitte mitgeteilt werden.
Der Stein auf dem Herzen
Die Klinikeinweisung und erst recht eine schwere Erkrankung legt sich wie ein Stein aufs Herz. Der Mensch fühlt sich fremdbestimmt, wird zum Objekt eines Geschicks, das ihn ungefragt trifft. Vorübergehend oder auch schicksalhaft verändert es sein Leben. In gewisser Weise wird er auch zum Objekt der Maßnahmen und der ungewohnten Umstände in der Klinik, denen er sich in der Hoffnung auf Hilfe unterziehen muss. „Was will ich machen? Ich muss es nehmen.“ So formulieren die Patienten oft ihre Situation. Erfährt ein Kranker dann Besserung oder Genesung, darf er sich wieder mehr als selbst bestimmter Mensch sehen. Der Stein fällt vom Herzen oder wird wenigstens leichter.
Dass der Patient darüber entscheidet, ob er meinen Besuch möchte, ist Höflichkeit und mehr. In Medizin und Pflege spricht man heute von der Autonomie des Patienten. Gemeint ist, dass nicht über ihn verfügt wird, sondern dass er als Partner mit entscheidet und ernst zu nehmen ist. Seelsorge hat ohnehin dieses Ziel, den Menschen in seinem Selbstsein, seinem Ich zu stärken. Nur so kann er in unerwünschten Umständen eine passende Haltung entwickeln.
Was der Patient oder die Patientin braucht
Arzt oder Ärztin und Pflegekräfte bleiben bei der Visite am Bett stehen. Durch mein Platznehmen auf dem Stuhl wird klar: Der Seelsorger ist jetzt ganz da, er bringt Zeit und Aufmerksamkeit mit. Umgekehrt bedeutet es, den Besuch rechtzeitig und oft auch bald zu beenden. Es kommt nicht auf die Dauer an, sondern darauf, dass sie dem aktuellen Bedarf angemessen ist. Da kann es z.B. sein, dass ein Gespräch im Moment nicht möglich ist, weil jemand sehr müde und schwach unter seiner Decke liegt. Doch er oder sie beantwortet meine Frage: Soll ich vielleicht ein Gebet für Sie sprechen?“ mit „Ja, gerne!“
Mancher versteht Seelsorge als Zuspruch mit wohlgemeinten guten oder auch frommen Worten. Solche „Aufmunterung“ hat auch ihr Recht, doch der Kranke erfährt sie ohnehin durch Besucher oder Klinikpersonal. Eine Rolle spielt dabei auch, dass wir Gesunden uns unbewusst selbst damit aufmuntern oder schützen angesichts des Leids, das wir alle lieber von uns fern halten möchten.
Zwei offene Ohren
Mit der Eröffnungsfrage „Wie geht es Ihnen, Frau N?“ rückt jedoch die Patientin selbst in die Mitte. Dem entspricht, was A und O von Seelsorge ist, nämlich zuzuhören. Das klingt fast banal, das kann doch jeder, denken wir. Doch wer hört wem wirklich zu? Ohne ins Wort zu fallen, ohne gleich Eigenes vorzubringen, ohne zu belehren, zu informieren, zu diskutieren? Und wer ist bereit zu hören, was wir sonst nicht erzählen? Nicht, weil es ein großes Geheimnis ist, sondern weil einfach kein offenes Ohr dafür da ist. Ein Kranker merkt schnell, was er mit wem und wann besprechen kann. Und es ist so wichtig für ihn, denn Erzählen und Anteilnahme erleichtert, ja fördert die Heilung an Leib und Seele.
Durch die eigene Erzählung seines Krankheits -und Therapieverlaufs, seiner Lebensumstände und oft auch seines Lebensweges, gewinnt der Mensch wieder ein Stück seiner selbst zurück. Er hat ja die Aufgabe, die Realität und die Vorstellung von seinem Leben erneut auszubalancieren.
Besuch und Anteilnahme durch Angehörige sind entscheidende Hilfe. Andererseits tun wir uns gerade als Angehörige manchmal schwer mit Zuhören, mit Akzeptieren und einem offenen Gespräch. Als Seelsorger sind wir nicht betroffen wie Angehörige. Wir befinden uns auch nicht auf der sachlichen Ebene der Medizin oder Pflege. Dies ermöglicht eine andere Art von Nähe. Womit ein Mensch im Kontakt vorsichtig ist und zurückhaltend, kann ungehindert zum Thema werden.
Starke Gefühle
Dankbarkeit für Besserung und Freude über Entlassung kommen leicht aus dem Herzen. Doch die Zeit im Klinikbett ist auch mit anderen Gefühlen verbunden: Ärger und Enttäuschung über Rückschläge oder Komplikationen. Angst, wie es weitergeht. Die Ungerechtigkeit des Lebens ertragen müssen. Trauer über Verlust der körperlichen Unversehrtheit oder Verlässlichkeit. Verzicht auf Selbständigkeit im Alter. Auf Hilfe angewiesen sein müssen. Das Ende des Lebens bedenken und betrauern müssen.
Ziel der Seelsorge ist, dass ein Raum des Vertrauens und der Akzeptanz entsteht, in dem der Mensch seine Maske, die ihm sonst hilft und die er gewohnt ist, ablegen oder auch nur ein wenig lockern kann. Hier kann er ehrlich sein, Spannung und Druck lassen nach. Tränen, seelischer Schmerz oder starkes Gefühl darf abfließen. Die Beutel am Leib der Patienten zeigen, wie nötig solches Abfließen ist. Die Eingangsfrage „Wie geht es Ihnen?“ führt mit dem Verlauf des Gesprächs zum wahren Befinden.
Was hilft und trägt
Wenn dann Belastendes genügend aus- oder angesprochen ist, kommt in der Regel ebenso das Hilfreiche, Ermutigende und Stärkende zu Wort. Nicht durch den Seelsorger, sondern durch den Patienten oder die Patientin selbst. Die Art des Zuhörens aber hat dazu beigetragen, dass ein Mensch dann z.B. sagt: „Na ja, irgendwie wird es schon werden!“ Oder: „Der liebe Gott hat mir schon oft geholfen, der wird es schon recht machen!“ Oder: „Ich merke, auf meine Familie ist Verlass!“ Diese Zuversicht ist dann keine Fertigwahrheit, sondern Lichtstrahl, der aus dem Dunkeln wieder neu aufleuchtet. Vielleicht ist es keine neue Erkenntnis, aber für diesen Menschen das Bewährte, die Strategie, die gerade jetzt wieder wichtig ist. Darf er es anderen erzählen, stärkt es ihn selbst.
Gott ist fern und nah
Und wie steht es mit Gott in der Seelsorge? Er selbst ist schon im Zimmer. Durch mein Kommen als Pfarrer rückt er aber mehr in die Mitte. Im Gespräch ist er meistens gar kein großes Thema. Und Seelsorge predigt nicht. Doch die Seele des Patienten fragt nach ihm und er nach ihr. Und es geht um beides, seine Ferne und seine Nähe. In Angst oder Trauer, in Sorge oder Beschwerden und in der Endlichkeit unseres Lebens, rückt Gott uns fern. Und doch will er uns gerade da nahe sein. Dieses Paradox löst die Seelsorge nicht auf. Es bleibt als Spannung und wird gerade so zum Raum und zur Führung für den inneren Weg des Menschen.
Dankbarkeit für Hilfe und Genesung ist eine Frucht dieses Weges. Durchstehen oder Durchleiden aber heißt, sich festzuhalten am Versprechen der Hilfe, wie sie von Gott kommt. Aufgabe der Seelsorge ist es, darin den Kranken achtsam und respektvoll zu begleiten. Auch in der Ergebung am Ende unheilbarer Erkrankung samt Ohnmacht und Trauer. Dass die Medizin heute stärkste Körperschmerzen oder anderes wirksam bekämpfen kann, ist dabei eine große Hilfe.
Die Hände falten
Am Ende der meisten Besuche spreche ich nach Zustimmung des Patienten ein Gebet. Manche hoffen ohnehin darauf. Im Religionsunterricht habe ich den Kindern gesagt: „Der liebe Gott zaubert nicht!“ Das heißt hier, er bedient sich der Klinik. Er gebraucht die Mühe, die Sorgfalt und die Kompetenz ihrer Fachkräfte. Das Gebet am Krankenbett ist deshalb Bitte für das Gelingen der Therapie und Besserung der Beschwerden. Es ist Bitte um Geduld, um Gottes Kraft für Leib und Seele. Und es ist Dank für Hilfe, Besserung oder Heilung. Auch besondere Punkte aus dem Gespräch werden darin aufgenommen.
Mit Evangelischen bete ich manchmal den Psalm 23. Immer folgt das Vaterunser. Es ist die Brücke, die Christus uns zum Vater im Himmel und auch zueinander gegeben hat. Diese schlichte Andacht endet mit dem Segen, in den ich als persönlichen Zuspruch den Namen des Patienten einfüge.
Im Klinikgottesdienst am Samstagabend hat außer der Fürbitte für die Patienten auch die Fürbitte ihren Ort für Pflegekräfte, Ärzte und alle weiteren Dienste.
Wir Seelsorger
Was nun umgekehrt uns selbst als Seelsorgern hilft und ermutigt, ist die Dankbarkeit der Patienten. Auch das Wissen, dass wir nicht Eigenes tun oder weitergeben, sondern dass Segen, Heilung und Heil des Menschen Gottes Werk sind.
Wichtig sind weiter: Die kollegiale Zusammenarbeit mit den vielen anderen in der Klinik Tätigen. Das Teamwork mit meinem katholischen Kollegen Franz Grulich, auch die Anbindung an die Kirchengemeinde St. Johannis, das Kollegium und den Kirchenvorstand. Aufrichtiger Dank gebührt den Ehrenamtlichen in der Klinikseelsorge: Frau Gertraud von Lips und Frau Anita Brünig von evangelischer, Frau Frau Dorothea Richter und Frau Rosa Schweiger von katholischer Seite. Wenn ich Ende Oktober in Ruhestand gehe, wird die Seelsorge am Klinikum und der Rangauklinik als künftige halbe Stelle verbunden mit der halben Pfarrstelle Wernsbach. Ebenso miteinem Viertel der Pfarrstelle Großhaslach.
Ihr Pfr. Walter Steinmaier